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Informationsbeschaffung mit der Kreditkarte:
Wie nachrichtendienstliche Datenkäufe verfassungsrechtliche Mindeststandards unterlaufen
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Stiftung Neue Verantwortung
May 28, 2024
Auf dem Datenmarkt gekaufte Informationen werden für die Nachrichtendienste immer wichtiger. Datenhändler bieten dort mitunter Informationen an, die sie exklusiv an Nachrichtendienste als Kunden vertreiben (Tau, 2024a). Andere Datenhändler verkaufen Produkte, die zwar nicht allein auf Nachrichtendienste zugeschnitten sind, diese aber auch interessieren. Dazu zählen zum Beispiel Dateien mit hochsensiblen Informationen wie Wohnadressen, Gesundheitsinformationen, politische Überzeugungen, Interessenprofile oder Religionszugehörigkeit (Dachwitz, 2023b). Viele auf dem Datenmarkt erhältliche Produkte bieten den Diensten einen umfangreichen Zugang zu statischen und dynamischen, also kontinuierlich aktualisierten, Dateien. Sie lassen sich für ganz unterschiedliche Zwecke nutzen: Wer Informationen über Teilnehmende einer Demonstration benötigt, kann beispielsweise internetfähige Geräte, die sich zum Zeitpunkt der Versammlung in der Gegend befunden haben, über gekaufte Standortdaten identifizieren. Wer Mobilgeräte in Grenzgebieten aufspüren will, kann dies auf der Grundlage von auf dem Datenmarkt erworbenen Bewegungsdaten tun (vgl. Ng, 2022). Mit von Unternehmen angebotenen Anwendungen, die integrierte Datensätze aus dem Datenmarkt auswerten, lassen sich Nutzer:innen dauerhaft überwachen und deren Verhalten auf Auffälligkeiten analysieren.
Anders als in anderen westlichen Demokratien (Tau, 2023, 2024a) gibt es zwar noch keine konkreten, öffentlich bekannten Fälle, die belegen, wie deutsche Nachrichtendienste bei den versteckt oder offen agierenden Akteuren des Datenmarktes Datensätze gekauft oder abonniert haben. Doch es gibt gute Gründe, davon auszugehen, dass dies längst geschieht. Warum sonst sollte die Bundesregierung in ihrer Begründung zu den novellierten Vorschriften des BNDG (Gesetz über den Bundesnachrichtendienst) auf den „Ankauf […] von umfänglichen Werbedatenbanken und anderen Datenbanken“ (Bundesregierung, 2023a, S. 43) abstellen?
In diesem Papier haben wir diese unterbelichtete Praxis (Kapitel 2) und deren Relevanz für den Grundrechtsschutz (Kapitel 3) genauer in den Blick genommen. Einige Formen des Datenkaufs stellen unserer Meinung nach einen erheblichen Eingriff in Grundrechte dar. Gemessen an den gebotenen Anforderungen an den Rechtsrahmen (Kapitel 4) und an die Kontrolle (Kapitel 5) ist der Status Quo unzureichend.
Im Unterschied zu anderen Methoden der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung ist die hier beschriebene Praxis weder an ein Genehmigungsverfahren gebunden, noch wird die Verarbeitung von gekauften Daten im Nachhinein ausreichend kontrolliert. Datenkäufe bieten Nachrichtendiensten die Möglichkeit, an Informationen zu gelangen, deren Erhebung mit anderen nachrichtendienstlichen Mitteln niemals gestattet gewesen wäre oder zumindest umfangreiche Genehmigungsverfahren vorausgesetzt hätte (ODNI, 2022, S. 13).
Der Ankauf von Werbedatenbanken sollte daher dringend einer besseren Regulierung und umfassenderen Kontrolle zugeführt werden. Der Gesetzgeber hat für den Sommer 2024 eine „wertungskonsistente Systematisierung der Regelungen zur Informationsbeschaffung“ (Bundesregierung, 2023b, S. 1) angekündigt. Schwere Grundrechtseingriffe sollten bei allen Methoden der Informationsbeschaffung einer ähnlichen Regelungs- und Kontrolldichte unterliegen. Bei der Praxis der nachrichtendienstlichen Datenkäufe, das zeigt dieser Impuls, ist dies noch nicht der Fall. Um den Weg zu einer verfassungskonformen Ausführung dieser nachrichtendienstlichen Beschaffungsmethode zu ebnen, schlagen wir vor:
Authors
Corbinian Ruckerbauer
Policy Researcher Digital Rights, Surveillance and Democracy
Dr. Thorsten Wetzling
Lead Digital Rights, Surveillance and Democracy