Policy Brief
Digitalisierung im deutschen Arbeitsmarkt – eine Debattenübersicht
Authors
Philippe Lorenz (Projektmanager Arbeitsmarkt 4.0)
Published by
Interface
August 03, 2017
Eine Veröffentlichung der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. und der Stiftung Neue Verantwortung e.V.
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Executive Summary
Die Digitalisierung transformiert Unternehmen mit massiven Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Jüngstes Beispiel ist die teilverstaatlichte Commerzbank AG. Bis zum Jahr 2020 streicht sie 9600 Stellen. Besonders stark vom Stellenabbau betroffen sind Sachbearbeiter, deren Tätigkeiten für die Bank automatisierbar geworden sind. Das macht deutlich, die Bank investiert in die Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse. Der Einsatz neuer digitaler Technologien führt zu Effizienzgewinnen – mit weniger Beschäftigten lässt sich dann oftmals ein sogar ein höheres Maß an Arbeit bewältigen. Die Politik muss sich dringend mit diesen Veränderungen befassen. Sie rütteln an den Grundfesten unseres Wirtschafts- und Sozialmodells.
Die internationale Debatte über die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt unterscheidet sich von der deutschen Diskussion in zwei zentralen Punkten. Erstens: Die deutsche Sichtweise auf die bevorstehenden Veränderungen von Arbeit und Beschäftigung folgt einer erstaunlich positiven Lesart. Vor allem, wenn man sie mit anderen Digitalisierungsdebatten (z. B. zu den Herausforderungen des Datenschutzes) vergleicht. Die Möglichkeit massiven Stellenabbaus durch den Einsatz digitaler Technologien - wie intelligenter Software, Algorithmen oder neuer industrieller Fertigungstechniken - wird zwar anerkannt. Man nimmt allerdings an, dass die wegfallenden Stellen in anderen Bereichen neu entstehen. Insgesamt komme es in Deutschland daher nicht zu einem Beschäftigungsrückgang. Zweitens: Während die angelsächsische Debatte sich den Veränderungen aller Wirtschaftssektoren und Berufe widmet, fokussiert sich die deutsche Sicht auf die Transformation des hiesigen Industriesektors. Die Debatte um die sogenannte “Industrie 4.0” dominiert die Diskussion und verstellt den Blick auf die bevorstehenden Veränderungen des Dienstleistungssektors.
Der Fokus auf den deutschen Industriesektor erklärt sich aus seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung. Das produzierende Gewerbe gilt als der wichtigste Wirtschaftssektor Deutschlands. Allein dessen Größe gemessen am Bruttoinlandsprodukt beträgt 30,4%. Verglichen mit anderen Volkswirtschaften wie Frankreich (19,5 Prozent) oder den USA (20,7 Prozent) ist der Anteil der Industrie deutlich größer und trägt wesentlich mehr zum Wohlstand in Deutschland bei. Wirtschaftspolitik ist in Deutschland daher vor allem Industriepolitik, wie prominente Regierungsprogramme (Hightech-Strategie, Plattform Industrie 4.0) belegen.
Trotz der Bedeutung der Industrie sinkt seit 1965 die Anzahl der im produzierenden Gewerbe beschäftigten Menschen kontinuierlich, von ehemals 49,2 Prozent auf 24,2 Prozent im Jahr 2016. Gleichzeitig stieg die Anzahl der im Dienstleistungssektor beschäftigten Menschen im selben Zeitraum von 40,1 Prozent auf 74,4 Prozent. Arbeitsmarktexperten erwarten im Fall der weiter voranschreitenden Digitalisierung des Industriesektors sogar eine weitere Beschleunigung des Strukturwandels hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Schon allein aus diesem Grund ist es notwendig, sich mit den Veränderungen des Dienstleistungssektors konsequenter auseinanderzusetzen. Ein Blick über den Atlantik verdeutlicht die Dynamik der Veränderungsprozesse. Der amerikanische Dienstleistungssektor verändert sich aufgrund höherer Verbreitung datengetriebener Geschäftsmodelle viel stärker als der deutsche – und das mit deutlichen Auswirkungen auf die Beschäftigung. Auch weil seit der Finanzkrise von 2008 neue technologische Potenziale im Dienstleistungssektor entschiedener eingesetzt werden. Das digitalen Technologien innewohnende Automatisierungspotenzial wird auch zunehmend von Unternehmen in Deutschland erkannt. Damit verbunden sind starke Auswirkungen auf die Beschäftigung im deutschen Dienstleistungssektor. Industriepolitische Strategien werden daher nicht ausreichen, um die Veränderungen des gesamten Arbeitsmarktes adäquat zu adressieren.