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Offene Daten: Es geht nicht nur um Transparenz!
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Dr. Tobias Knobloch (Projektleiter Open Data & Privacy)
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December 16, 2015
Der Gedanke, dass die Demokratie durch mehr Transparenz staatlichen Handelns gestärkt wird, stammt aus dem Kontext der Erkämpfung und Verteidigung von Bürgerrechten: Bürgerinnen und Bürger sollen staatlichem Handeln weder ausgeliefert sein noch es als Zaungäste von außen bestaunen. Vielmehr soll es für sie verlässlich und berechenbar sein. Es soll in ihrem Sinne und von ihnen mitgestaltbar sein. Das ist der uralte Gedanke vom Gemeinwesen als öffentliche, jede und jeden betreffende Angelegenheit. Nun führt zwar historisch keine Linie von der direkten Demokratie der Griechen zur repräsentativen Demokratie von heute, aber die romantische Vorstellung von jener Zeit der direkten Abstimmung und Mitgestaltung erfüllt auch heute eine wichtige Funktion: die Rückbesinnung auf den demokratischen Grundwert universeller Teilhabe.
Transparenz ist kein Wundermittel. Schließlich kennen wir auch eine kaschierende Transparenz, die bisweilen genauso wirksam ist wie absolute Geheimhaltung. Niemand braucht Zugang zu einer Menge uninteressanter Daten, nur damit der Datenbereitsteller sich als transparent ausgeben kann. Auf der anderen Seite liegt die Nicht-Absehbarkeit des Nutzens der Zugänglichkeit Daten als Informationsrohstoff im Wesen der Sache: Auch was uns heute als unwichtiges Datum erscheint, kann schon morgen, etwa im Verbund mit anderen Daten, eine revolutionäre Anwendung ermöglichen.
Transparenz ist kein Selbstzweck. Wir streben sie für Werte an, die uns um ihrer selbst willen wichtig sind. Sehr schön auf den Punkt gebracht hat das im Sommer 2015 das Hamburger Verwaltungsgericht, das in einem Urteil über das Hamburgische Transparenzgesetz festgestellt hat: “Das Gesetz bezweckt die Herstellung umfassender Transparenz des Verwaltungshandelns, um die demokratische Meinungs- und Willensbildung zu fördern und eine Kontrolle staatlichen Handelns zu ermöglichen. Transparenz ist damit als Strukturmerkmal staatlichen Handelns definiert, welches der Emanzipation des Bürgers vom bloßen Gewaltunterworfenen zum durch Information mündigen Partner der Verwaltung dient.” (VG Hamburg, Urt. v. 5.8.2015 – 17 K 3203/13)
Genau darum geht es dem, der die Öffnung der Verwaltung gegenüber der ganzen Gesellschaft, nicht nur gegenüber der organisierten Zivilgesellschaft fordert. Es geht um eine neue Partnerschaft, denn nur so werden sich gesellschaftliche Mammut-Aufgaben wie die Integration hunderttausender Flüchtlinge bewältigen lassen. Der Staat kann das nicht alleine, er ist darauf angewiesen, dass sich Bürger und Zivilgesellschaft an der Problemlösung beteiligen. Offenheit und Datenoffenheit in diesem umfassenden Sinn sind die Voraussetzung für den Fortbestand als ein freies, fortschrittliches und prosperierendes Gemeinwesen.
Auch in Deutschland deuten mittlerweile etliche Entwicklungen auf jeder Verwaltungsebene und in der Wirtschaft in diese – die richtige – Richtung. Vergessen dürfen wir darüber aber nicht den Mangel an Flächendeckung und Systematik, unter dem offenes Regierungs- und Verwaltungshandeln in Deutschland nach wie vor leidet. Einzig Nordrhein-Westfalen verfolgt mit Open.NRW in der Praxis einen Open-Government-Ansatz, der über das Öffnen von Daten und die Aufforderung, daraus doch nun bitteschön auch etwas zu machen, hinausgeht.
Auf der Ebene des Bundes, der laut Koalitionsvertrag der eigentliche Treiber des Themas sein sollte, ist Offenheit in die langfristigen Digitalisierungsstrategien eingebettet. Sowohl das Regierungsprogramm Digitale Verwaltung 2020 als auch die Digitale Agenda für Deutschland (beide aus dem Jahr 2014) enthalten aber nur Inselbezüge zu offenen Daten. Das E-Government-Gesetz von 2013 zeigt zu den Suchstichworten “open data” und “offene Daten” jeweils null Treffer an. Die Strategie intelligente Vernetzung, im September 2015 vom Bundeswirtschaftsministerium als Teil der Umsetzung der Digitalen Agenda vorgelegt, geht – jedenfalls in Worten – darüber hinaus und in die richtige Richtung: “Ziel ist es, Open Data als Standard in der Bundesverwaltung einzuführen.” (S.19)
Spätestens seit dem IT-Gipfel im Herbst 2015 lautet das neue Regierungsmantra, Daten seien der Rohstoff unserer Zeit. Das ist keine neue Erkenntnis, neu ist hier allenfalls das Erkenntnissubjekt. Daten der Verwaltung sind definitiv ein wichtiger Rohstoff für zukünftige politische Entscheidungen über sämtliche Lebensbereiche. Und für Problemlösungsansätze. Warum werden sie nicht – wie in anderen Ländern längst der Fall – für beides genutzt?
Die Hauptschwierigkeiten für Open Government Data in Deutschland sind diese:
- Die Transparenzforderungen waren in der Vergangenheit zu einseitig, die Stränge Verwaltungseffizienz, Lebensqualität und wirtschaftlicher Standortfaktor wurden kaum verfolgt.
- Es gibt in Deutschland kein Open-Data-Ökosystem und infolgedessen zu wenig Push- u. Pullfaktoren.
- Der Austausch zwischen Datenbereitstellern und -nutzern sowie das gegenseitige Verständnis ist zu gering ausgeprägt.
- Bezüglich progressiver Datennutzung gibt es (noch) keinen ökonomischen Druck auf Deutschland, denn die Wirtschaft brummt (noch).
- Es gibt zu wenig Verständnis für Digitalthemen und deren Relevanz auf allen Ebenen, daher kommen keine politischen Signale für offene Daten von oben.
- Die Digitalzuständigkeit ist auf drei Ministerien aufgeteilt.
- Andere strukturelle Gegebenheiten, wie z.B der Föderalismus, erschweren die Umsetzung.
- Es existieren kulturelle, für Deutschland typische Barrieren, z.B. keine Beta- oder Prototyping-Kultur wie beispielsweise in den angelsächsischen Ländern.
- Es bestehen spezifisch deutsche Datenschutzbedenken gegen die produktive Nutzung von Daten.
- Der Nutzen offener Daten wird nicht gesehen, da packende Erfolgsbeispiele fehlen.
- Es gibt kein überzeugendes Narrativ, gängige Begriffe sind abgenutzt (“open data”, “Informationsfreiheit” etc. sind in Behörden eher rote Tücher als grüne Fahnen).
- Open Data wird als Projekt gesehen, aber nicht als strategisches Instrument und Querschnittsthema.
Eine der größten Herausforderungen für Regierungen ist es, die transformativen und manchmal auch disruptiven Kräfte der Digitalisierung zu kanalisieren und für die ganze Gesellschaft in Wert zu setzen. Das wird ihnen aber nicht gelingen, wenn sie sich nicht auch selbst ein Stück weit diesem kreativ-zerstörerischen Prozessen aussetzen. Das fällt der Verwaltung schwer, weil eine ihrer traditionellen Funktionen ja gerade ist, raschen und tiefgehenden Veränderungen zu widerstehen. Auf der anderen Seite können wir nicht warten, bis durch den digitalen Wandel noch schmerzhaftere Disruptionen eintreten und weitere Chancen verpasst werden.
Was wir daher brauchen, sind schrittweise Veränderungen, die über die Zeit zu Bewusstseinsänderungen führen. Die aktive Öffnung und Bereitstellung von Daten seitens der Verwaltung ohne Nachfrage und besonderen Anlass ist ein erster Schritt in diese dringend notwendige Richtung. Die Partnerschaft mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen um diese neu zu erschließenden Datenressourcen herum ist ein weiterer Schritt. “Da eine Öffnung bisher verschlossener Datenbestände für viele Betroffene einen Kulturwandel bedeutet, gilt es diese Veränderungen angemessen zu begleiten”, heißt es in der Stuttgarter Open-Erklärung (November 2015). Jeder, der sich mit dem Thema befasst und nicht in einer Behörde arbeitet, sollte sich hier als potentieller Begleiter angesprochen fühlen, damit die Wende zu offenen Regierungs- und Verwaltungsdaten in Deutschland als wichtiger Teil der lebenswerten digitalen Gesellschaft gelingt!